Hawaiianische Quilts

 

 

Bereits bevor die Inseln des hawaiianischen Archipels im Jahr 1893 von den USA annektiert wurden (und lange bevor sie schließlich im Jahr 1954 der 49. Staat der USA wurden) gab es eine mindestens hundertjährige Tradition des Quiltens und Kunsthandwerks mit Nadel und Faden auf den hawaiianischen Inseln, die auf der handwerklichen Kunstform der „tapa“-Fertigung basierte. Als Tapa, hawaiianisch Kapa, bezeichnet man in Polynesien und Melanesien Stoffe, die aus Rindenbast hergestellt werden. Das Ausgangsmaterial stammt hauptsächlich vom Papiermaulbeerbaum (Broussonetia papyrifera aus der Familie der Moraceae). Es ist ein papierähnlicher Stoff, aus dem Stoffmatten und Kleidung, Bettwaren, Totengewänder, und auch Kerzendocht hergestellt wurden, die Anfertigung der Tapa war ausschließlich Frauenarbeit. Dabei wurden die Rindenstücke mit hölzernen Hämmern am Rand überlappend aufeinander gehämmert, um größere Rindenstücke zu erhalten, aus denen dann in unterschiedlicher Größe und Dicke die Tapa hergestellt werden konnten. Die Anfertigung ähnelt der Herstellung von Papyrus, die wir aus dem alten Ägypten kennen. Im Anschluss wurde jedes Werkstück noch mit Farbe und Dekorationsobjekten wie Muscheln, Pflanzen oder Blüten u.a. verschönert. Die so dekorierten Bettdecken wurden aus vier bis sechs größeren Stücken der Rinde gefertigt („kapa moe“), und lagen als „Zudecke“ auf den eigentlichen Bettmatten, die aus mehreren Lagen der dicksten Rinde bestanden und ähnlich einer Matratze als Bettstatt genutzt wurden. Die verschiedenen Lagen des Rindenbasts wurden in der Regel mittels eines pflanzenbasierten Klebstoffs aus der essbaren Taro-Wurzel miteinander verklebt und fixiert. Tapa wurden mit Pflanzenfarbe gefärbt, und die Motive wurden frei Hand mit Stiften aus Pflanzenmaterial, ähnlich einem Federkiel, aufgemalt.

 

Nach der Entdeckung der Inseln im Jahre 1778 durch James Cook und nach der Ankunft von Forschern, Händlern und Missionaren in den Folgejahren übernahmen die einheimischen hawaiianischen Künstlerinnen neue Techniken und Muster und entwickelten sie in kreativer Weise weiter, indem sie die fremden Elemente in die vorhandenen Tapa-Kunstformen integrierten. Besondern die neuen metallenen Gerätschaften wie z.B. Druckstempel verhalfen ihnen zu differenzierterer Aussagekraft. Aus gespaltenem Bambus wurden dünne Stempel gefertigt, auf die man fein ziselierte Muster prägte. Damit wurde dann Farbstoff auf die Stempel aufgetragen und mit ihnen konnten Muster auf die Tapa übertragen werden. Im gleichen Zeitraum kam es erstmalig zum Import von aus dem Westen eingeführten Druckstoffen, Kattun, Chintz und chinesischer Seide auf den hawaiianischen Inseln. Tapa sind nicht waschbar, daher war der aus dem Westen importierte Stoff höchst willkommen und brachte eine nie gekannte Fülle neuer Möglichkeiten für die Anfertigung von Bekleidung und Bettzeug. Dies hatte zur Folge, dass man bald die Muster dieser Stoffe in den gezeichneten oder eingeprägten Tapa-Designs nachahmte. Aus dieser Zeit stammt eine neue Technik, um die Überdecke der Bettstatt, die Kapa moe, zu variieren: Rotes Tuch, in das scherenschnittartige Muster hineingeschnitten worden waren, wurde auf das weiße Kapa gelegt und beide Lagen wurden im Anschluss zu einer neuen Decke zusammengefügt, wobei die Ränder des Kapa moe nicht mehr miteinander verklebt, sondern zusammengenäht wurden. Und obwohl diese neuen Techniken ein Ergebnis westlichen Einflusses waren, so zeigt doch die Art und Weise, wie sie angewandt wurden, die für die Hawaiianerinnen charakteristische Fähigkeit, sich Veränderungen anzupassen.

 

Es gibt zwei unterschiedliche Kategorien hawaiianischer Quilts, zum einen die sogenannten Royal Hawaiian Flag Quilts (Ku ú Hae Aloha – „My beloved flag“)), die Flaggen und / oder Wappen und nationale Motive und Ereignisse als zentrales Motiv zeigen. Diese wurden nach der Annexion der Inseln durch die USA ab den 1890er Jahren hergestellt und eroberten die Herzen der nationalstolzen Hawaiianer im Nu. Sie gelten als stiller Protest gegen die erzwungene Abdankung der lokalen Königsdynastie und die politische Umbruchsituation und das damit einhergehende Verbot, die hawaiianischen Flagge anstelle des Union Jack zu hissen. Quilts mit Symbolen der Monarchie und des hawaiianischen Königshauses waren eine Form des stillen Widerstands. Flaggenquilts kombinieren Stickarbeit mit applizierten Motiven, im Gegensatz zu anderen traditionellen hawaiianischen Quilts, bei denen keine Stickarbeit verwendet wird.

Und zum anderen zu nennen ist der hawaiianische Applikationsquilt, der in nur zwei Farben gehalten ist und mit einem großen Applikationsmotiv mit naturalistischen Elementen und Motiven in Größe des gesamten Quilts gefertigt wird. Es ist nicht bekannt, wann genau sich der hawaiianische Applikationsquilt entwickelte. Das Klima von Hawaii ist für den Baumwollanbau ungeeignet und Kapa ist für das Quilten ungeeignet, so dass von Anbeginn an alle hawaiianischen Quilts aus importiertem Material hergestellt werden mussten. Die früheste schriftliche Referenz stammt von Isabella Bird (1831-1904), die 1870 Hawaii besuchte und einen Reisebericht über ihren sechs Monate dauernden Aufenthalt auf den Inseln schrieb und dabei auch bereits über die Herstellung von Applikationsquilts berichtete. Das Nähen wurde den Hawaiianerinnen von den Ehefrauen der amerikanischen Missionare beigebracht, die erstmals ab 1820 nach Hawaii kamen. Der Auftrag der Missionare umfasste auch den Unterricht in häuslichen Fertigkeiten, zu denen auch das Nähen und „paper-cutting“ (Scherenschnitte) gehörte. Dieser Unterricht wurde zuerst zuhause durch die Frauen der Missionare erteilt, und ab 1830 auf den Lehrplan der Schulen gesetzt, man unterrichtete zeitweilig sogar Schüler beiderlei Geschlechts in dieser Kunst. Als das Patchwork-Quilten um die Mitte des 19. Jahrhunderts sich immer weiterverbreitete, begannen die Hawaiianerinnen damit, traditionelle Tapa Muster in die Quilts einzuarbeiten. Besonders durch die Missionare der Gruppe der Pennsylvania Dutch, die ab 1860 in Hawaii tätig waren, verschiedene Schulen für die Einheimischen errichteten und das Fach „Nadelarbeit“ einführten, kam die Technik der Stoff-Applikation auf die Inseln. Die hawaiianischen Applikationsquilts waren vorrangig in den Farben Weiß (Unterstoff) und leuchtend rot oder orange (Applikationsstoff) gehalten und werden Kapa lau oder Kapa ápana genannt. Sukzessive verschwanden die ursprünglichen Tapas und wurden mehr und mehr durch Patchwork-Quilts ersetzt, die sich in Hawaii zu einer unverwechselbaren Kunstform entwickelten, die ab den 1870er Jahren bereits weithin etabliert war. Im Ergebnis ist diese Technik die gelungene Kombination und erfolgreiche Symbiose verschiedener Stile und Näh und Applikationstechniken aus unterschiedlichen Kulturen, nämlich der hawaiianischen und der US-amerikanischen Kultur.

Das auffälligste Merkmal dieses heute traditionellen Kunsthandwerks liegt in der Technik. Die Herstellung hat sich im Laufe der Zeit nicht verändert, dazu wird aus einem zusammenhängenden Stück Stoff ein Muster ausgeschnitten, das sich über den ganzen Quilt erstreckt und auf einen einfarbigen, meist weißen Unterstoff appliziert wird, und das zum Schluss mit kunstvollen Quiltstichen noch umrandet wird. Die Methode, ein quiltumfassendes Muster aus einem einzigen Stoffstück zu schneiden, existiert nur in Polynesien, dazu wird das Stoffstück für die Applikation zunächst zu Vierteln und dann zu Achteln (radialsymmetrisch) zusammengefaltet und die Künstlerin schneidet das Muster dann entweder mit der Schere frei Hand aus, oder überträgt es aus einem vorher erstellten Papiermuster. Durch das Auseinanderfalten der Achtel erscheint dann das Muster in acht verschiedenen Segmenten des Stoffstücks in radial-symmetrischer Anordnung und in identischer Form. Das ausgeschnittene Muster wird dann auf die helle oder weiße Quiltoberseite (den „Unterstoff“) geheftet, wobei man in der Mitte beginnt und sich zu den Rändern vorarbeitet. Dann folgt das eigentliche Applizieren des Musterstoffs. Zwischen der applizierten farbigen Oberseite und der hellen Unterseite wird dann die Wattierung oder Zwischenlage eingefügt, und die drei Lagen werden schließlich zum Schluss zusammengenäht und gequiltet, ebenfalls von der Mitte ausgehend hin zu den Rändern. Je nach Größe der späteren Quilts war es u.U. erforderlich, sogenannte „Quilting horses“ zu verwenden. Dies sind an der Decke aufgehängte Rahmen, die mittels Seilen bei Bedarf nach unten gelassen werden können, damit die Quilterinnen auf dem Boden sitzend den Quilt bearbeiten können. Wenn die Arbeit unterbrochen werden muss, wird der Quiltrahmen mitsamt dem unvollendeten Quilt wieder nach oben gezogen, bis wieder daran gearbeitet werden kann.

Die Muster der Quilts sind vielfältig, sie umfassen neben traditionellen Tapa-Mustern auch Motive aus der Natur, etwa Blumen und Blüten, Muscheln, Fischschuppen und Schildkrötenpanzer, die Abbildung von Tieren wurde jedoch vermieden, da dies Unglück bedeutete, so die Überzeugung der Hawaiianerinnen. Auch historische Ereignisse wurden dargestellt, so wurde u. a. das Auftauchen des Halley’schen Kometen im Jahr 1910 in vielen Quilts zum zentralen Motiv, ebenso wie z.B. die Einführung der Postzustellung auf den Inseln im Jahr 1904. Religiöse Motive waren in der Regel nicht Bestandteil der Tapa, da die polynesische Religion nur ca. 50 Jahre nach der Entdeckung Hawaiis durch James Cook (1778) quasi nicht mehr existent und durch die Missionierungsbemühungen christlicher Missionare ausgelöscht worden war (die Missionierung Hawaiis war ca. 1830 abgeschlossen). Schließlich entwickelte sich die heute typisch hawaiianische Technik des Quiltens: Ausschließlich von Hand genähte Stiche, die zu den inneren und äußeren Rändern der Applikationsmuster parallel verlaufen. Diese Art von Konturquilten (auch Echoquilten) heißt Kuiki lau und verleiht dem Quilt einen dreidimensionalen, reliefartigen Effekt, der oft mit den Wellen des Meeres verglichen wird. Die mäanderähnlichen Reihen der Quiltstiche machen den Quilt lebendig und schaffen eine zusätzliche Muster-Ebene. Dazu wird häufig der Überwendlingstich verwendet, aber auch andere Sticharten werden benutzt. Ebenfalls der Natur entnommen sind Muster, die Wind und Regen, die für das Leben auf den Inseln so wichtig sind, darstellen.

Die Vielfalt der Muster ist nur durch die Vorstellungskraft der Näherin begrenzt und beruht auf deren individueller Inspiration und Ausdruckskraft. Die frühen Entwürfe spiegeln die Muster der Tapa wider, aber allmählich bildeten sich neue Muster heraus, die die Schönheit der Natur wiedergeben oder persönliche Erlebnisse der Quilterin oder Ereignisse aus dem täglichen Leben umfassen. Auch das wechselhafte Schicksal der hawaiianischen Nation wurde häufig zum Gegenstand der Kunst der Hawaiianerinnen. Häufig verwendete Muster sind z.B. die Lehau Blüte der Insel Hawaii und ebenso typischen Blüten und Pflanzen- und Blätterformen der anderen Inseln. Auch die ´Ulu, die Brotfrucht, eines der wichtigsten einheimischen Nahrungsmittel der hawaiianischen Inseln, findet sich in der einen oder anderen Form auf nahezu jedem Quilt. Noch heute ist es Tradition, als erstes Element ein Brotfruchtmuster auf jeden Quilt zu nähen. Hält sich die Quilterin an diese Vorgabe, so der Glaube, wird sie noch viele weitere Quilts nähen und damit ein langes Leben genießen.

 

"Your first Hawaiian quilt should be a breadfruit design….
The Hawaiian word for breadfruit is 'ulu; and ´ulu means to grow, or increase. In Hawaiian arts and crafts the 'ulu symbolizes abundance.
Hawaiian quilting kumu (teacher) teach their students that it also symbolizes greater creativity and more quilts.
So, when you hear the advice that you should first make the 'ulu design, now you know why…. you may remember that
the breadfruit (or ´ulu) is a symbol of plenty, or abundance in the Hawaiian culture.
The large, starchy fruit was a staple in the diet of voyaging Polynesians.
Hawaiian quilters have often said that if your first Hawaiian quilt is of the úlu, then you will be blessed with an abundance of creativity and quilts[1]."

 

Einem Quilt einen Namen zu geben war und ist für hawaiianische Künstlerinnen eine äußerst persönliche Angelegenheit. Im Namen spiegelt sich notwendigerweise der Ursprung eines besonderen Musters. Viele Quilterinnen gaben ihren Quilts Namen, deren Bedeutung nur sie allein kannten, daher steht der Name eines Musters zum dargestellten Motiv nicht immer in offensichtlichem Zusammenhang. Diese Muster wurden eifersüchtig gehütet und das Kopieren eines Musters oder Designs war verpönt, denn das hätte bedeutet, die Originalität und Kreativität einer Quilterin zu stehlen. Hinzu kommt, dass man lange Zeit glaubte, die Seele der Quilterin würde in ihrem Quilt fortleben, nachdem sie verstorben war, auch deshalb durften fremde Quilts nicht kopiert werden. Heute werden zuweilen Quilterinnen in besonders geliebten Quilts nach ihrem Tod beerdigt bzw. verbrannt, dies ist eine Tradition, die sich immer mehr durchsetzt auf den Inseln. Wenn eine Quilterin jedoch ihre Muster und Designs großzügig mit Anderen teilte, so galt es als vereinbart, dass jede Kopie ihres Musters nur den Namen tragen würde, den sie als ursprünglich erste Quilterin ihm gegeben hatte. Diese Gewohnheiten haben zur Folge, dass man heute viele Variationen eines Grundmusters mit einer Vielzahl von verschiedenen Namen finden kann, und dass der ursprüngliche Name und damit die Bedeutung vielfach verlorengegangen sind. Man kann daher grundsätzlich davon ausgehen, dass ein Grundmuster, das besonders oft variiert wurde und zahlreiche verschiedenen Namen trägt, auch besonders alt ist.

Hawaiianische Quilts sind aufgrund der klimatischen Situation der Inseln hohen Belastungen ausgesetzt und es gibt nahezu keine erhaltenen Quilts aus den Jahren vor 1875. Aus diesem Grund hat sich die Gewohnheit bei den Hawaiianerinnen entwickelt, dass ein im familiären Besitz befindlicher Quilt möglichst kopiert und quasi „gedoppelt“ wird, sobald der Stoff fadenscheinig wird und sich zersetzt und der Quilt beginnt auseinanderzufallen. Die „alte“ Version des Quilts wird dann entsorgt, und der „neue“ Quilt ersetzt ihn in Funktion und Erinnerungswert. Diese Familienquilts werden hochgeschätzt und sind besondere Stücke, die der Erbmasse angehören und in jeder Familie von einer Generation zur nächsten weitervererbt werden.

Auch heute noch wird das Quilten auf Hawaii mit dem gleichen Enthusiasmus und derselben Kreativität ausgeübt wie vor Jahrzehnten. Alte Muster sind nach wie vor in Gebrauch, und neue Muster werden entworfen, um an aktuelle Ereignisse zu erinnern, die Vielzahl der hawaiianischen Pflanzen darzustellen und um Erinnerungen festzuhalten. Außerdem gibt es einen lebhaften Handel mit papierbasierten wie auch inzwischen digitalen Quiltmustern, daher ist davon auszugehen, dass viele der alten Vorbehalte und Tabus, die das Kopieren von Quiltmustern einst umgaben, im Aussterben begriffen sind. Auf allen Inseln gibt es zahlreiche Quiltclubs und unzählige Shops und Online-Shops, die Quiltkurse und Tutorials anbieten wie auch die zugehörigen Quilt-Kits inkl. Musterfolgen, handgefärbten Stoffen und Handquiltgarnen in allen Schattierungen liefern. In den meisten Kunst-Museen auf den hawaiianischen Inseln kann man sowohl historische als auch moderne hawaiianische Quilts bewundern und darüber hinaus besitzt die Bibliothek von Hawaii eine Sammlung von über vierhundert traditionellen Quiltmustern, die jeder Quilterin als Kopie zur eigenen Verwendung kostenfrei zur Verfügung stehen.

 

Bibliografie:

Deborah Harding. Quilts, Könemann, 1996, p. p.132-147.

Roderick Kirakofe. The American Quilt. A History of Cloth and Comfort 1750-1950. New York 1993, p. 160-164.

Schnuppe von Gwinner, The history of the patchwork quilt, München 1987, p.157-161.

https://pacificrimquilt.com (Website der Pacific Rim Quilt Company).

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung The Honolulu Museum of Art, 900 South Beretania Street, Honolulu, Hawaii 96814.

 

[1]  https://pacificrimquilt.com  (Website der Pacific Rim Quilt Company).


 

 

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